14.06.2018

Betongoldsuche: Immobilienmärkte

Ziel: Mehr Wohnen wagen

Andrea Nahles sagte: „Die neue soziale Frage“.
Katarina Barley sagte: „Die neue soziale Frage“.
Horst Seehofer sagte: „Die soziale Frage unserer Zeit.“
Selten waren sich die Großkoalitionäre im Sommer 2018 so einig wie bei ihrer Beurteilung bezahlbaren Wohnens.

„Es ist eine wesentliche Frage, wie wir die Wohnungspolitik ausgestalten sollten“, formuliert es Michael Voigtländer, „was wir tun und nicht tun, um den von der Preisentwicklung Betroffenen zu helfen.“ Als Leiter des IW-Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte befasst er sich seit 2005 mit dem Wohnungs- und Häusermarkt. Mitte Juni 2018 hatte Voigtländer zum jährlichen IW-Immobiliensymposium nach Berlin geladen, Thema waren die Immobilienmärkte in Kleinstädten und im ländlichen Raum. Aber auch rund um diesen Termin beschäftigt seine Mitarbeiter und ihn in Publikationen und Interviews die Frage, wer wo wie wohnen wird und wie Mieter und Käufer zu unterstützen wären.

Neubau

„Ein Problem für günstigeren Neubau sind die hohen deutschen Standards. Es ist schwierig, einfach zu bauen.“ Die Niederlande setzten etwa im Wohnheimbau für Studenten auf Holz und Container – das könne auch in Deutschland dazu beitragen, Studenten in günstige Wohnheime zu bringen und damit den Mietmarkt in den Städten zu entlasten. „Hinzu kommt die Grundstücksvergabe. Denkbar wäre, dass städtische Grundstücke nicht an den Höchstbietenden gehen, sondern Vorgaben gemacht werden wie: Es sollen möglichst viele günstige Ein- oder Zweizimmerwohnungen entstehen.“ Zur Unterstützung Einkommensschwacher will das IW das Wohngeld an die Entwicklung der Mieten koppeln.

Sanierungen

Um Luxussanierungen einzugrenzen, sollte sich das System ändern: „Durch die Modernisierungsumlage entsteht in sehr angespannten Märkten der Anreiz, möglichst viele Kosten zu produzieren, die dann auf die Mieter umgelegt werden.“ Als Alternative empfiehlt Voigtländer wiederum die Niederlande: Dort orientiert sich die Umlage am bestehenden Mietangebot – ein Punktesystem gibt vor, für welche Ausstattung Eigentümer welche Mietaufschläge erheben können.

Wohneigentum

Das IW wirbt dafür, den Zugang zu Wohneigentum zu erleichtern, allerdings nicht durch Zuschüsse wie das Baukindergeld. „Wir müssen die allgemeinen Eintrittshürden senken“, betont Voigtländer, „etwa durch einen Freibetrag und Stufentarife bei der Grunderwerbsteuer sowie das Bestellerprinzip für Makler auch beim Häuserkauf.“ Hohe Notargebühren und die Vermögensförderung sollten ebenfalls reformiert werden.

Gleichwertige Lebensverhältnisse

„Hier müssen wir gesellschaftlich gegensteuern“, sagt Voigtländer. „Wir können den Städten die Attraktivität nicht nehmen, müssen sie aber im Umland stärken.“ Am Stadt-Land-Gefälle erklärt der Immobilienexperte allerdings auch einen mitunter blinden Fleck in der Debatte: „Dass Wohnen eine soziale Frage und ein Menschenrecht ist, unterschreibe ich. Dafür muss der Staat die Rahmenbedingungen schaffen. Die Frage ist nur, wo und wie wohnen? Wir haben zwei Millionen leerstehende Wohnungen – und können eben nicht allen ein Leben in Berlin-Mitte ermöglichen.“

Am 18. September empfingen Voigtländer (4. v.r.), sein Mitarbeiter Pekka Sagner (4. v.l.) sowie Thilo Schaefer aus dem Kompetenzfeld Umwelt, Energie, Infrastruktur (3. v.l.) eine chinesische Delegation zum Erfahrungsaustausch über Energie- und Immobilienmärkte. Voigtländers Beobachtung: „Die Chinesen betreiben entschiedener und schneller Städtebau. Das ist dem politischen System geschuldet – und über die soziale Frage machen sie sich dabei kaum Gedanken. Hohe Preise nehmen sie hin.“ Foto: privat

 

 

 

 

 

 

 

 

Koordinaten
52°30′51.7″N 13°24′09.9″E (Landesvertretung Sachsen, Berlin),
50°56′44.6″N 6°57′47.6″E (IW)

 

Crew
Michael Voigtländer,
Leiter Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte

Ralph Henger,
Senior Economist für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik

Christian Oberst,
Economist für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik

Pekka Sagner,
Economist für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik

 

Wohnen auf dem Wasser
Könnte das Wohnen auf dem Wasser zur
Entspannung des Festland-Immobilienmarktes
beitragen? Noch sind schwimmende Häuser
(ohne eigenen Antrieb) und Hausboote
(quasi Campingmobile) hierzulande eine
Ausnahmeerscheinung. Hamburg mit seinem
Eilbekkanal gilt als Vorreiter fürs Wohnen
auf dem Wasser. Eine Genehmigung ist
allerdings kaum weniger aufwendig als
beim Bauen an Land – und die 1A-Lage
Hafen per Gesetz von jeder Wasserwohnnutzung
ausgeschlossen.