
Big Data
Große Datenmengen, deren Nutzung Unternehmen neue Geschäftsmodelle eröffnet – und IW-Wissenschaftlern neue Forschungsansätze und Analysemöglichkeiten.
Der eine twittert über den Koalitionsvertrag, der nächste über Wirtschaft als Schulfach und wieder einer über Startups in Deutschland. Jeder, den es interessiert, kann die Beiträge des „Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte“ bei Twitter lesen. Was aber nicht so leicht zu sehen ist – zumindest für den normalen Nutzer –, sind die Daten über das Twitter-Verhalten der Ökonomen: Wer twittert wann und wie oft? Wer retweeted wen? Welcher Ökonom erreicht mit seinen Tweets besonders viele Personen aus der breiten Öffentlichkeit, und welcher Ökonom tauscht sich vor allem mit anderen Ökonomen aus?
Antworten auf diese und andere Fragen hat die IW-Forschungsgruppe Big-Data-Analytics, die im Herbst 2017 gegründet wurde. Dank ihr ist das IW Vorreiter unter den deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten: „Soweit wir das überblicken können, gibt es in den anderen Häusern bisher keine feste Einheit, die sich langfristig mit Big Data beschäftigt“, sagt Henry Goecke, Ökonom und Leiter der Forschungsgruppe. Zu seinem Team gehören der Data Scientist Christopher Thiele und Nils Tschampel, Master-Student für „Information Systems“. Noch in diesem Jahr soll die Forschungsgruppe weiter aufgestockt werden. Beim Wachstum unterstützt wird sie von einem Beirat als wissenschaftlichem Sparringspartner, bestehend aus IW-Forschern und Externen. Pläne, die zeigen: Das IW hat mit Big Data viel vor.
Wühlen in Datenbergen
Aber was steckt eigentlich hinter diesem Begriff, der das „Groß“ schon im Namen trägt? Die Datenmenge, die unter anderem durch Internet- und Mobilfunknutzung, Überwachungssysteme, Kredit- und Kundenkarten anfällt, wächst immer schneller und wird immer vielfältiger. Diese Daten werden gespeichert. Wer sie analysiert und miteinander verknüpft, erhält Aussagen über Interessen und Verhalten der „Erzeuger“ der Daten – und kann diese Erkenntnisse nutzen.
Für Unternehmen kann das zum Beispiel in individuellerer Kundenansprache münden, Sicherheitsbehörden können Bewegungsprofile Verdächtiger nachzeichnen. Ein Anwendungsbeispiel, das die meisten kennen, ist personalisierte Werbung: Wer eben noch nach einem Urlaubsziel in der Toskana gegoogelt hat, erhält kurz danach auf dem PC- oder Smartphone-Bildschirm Anzeigen eines Hotels in Florenz. Facebook, Amazon und Google führen uns so täglich die Folgen von Big Data vor Augen.
Volkswirtschaftlich relevante Fragen beantworten
Die IW-Forschungsgruppe will weder Übernachtungen noch Bücher verkaufen noch jemanden überwachen. Was sie will: durch die Analyse großer Datenmengen volkswirtschaftliche, für die Wirtschaftspolitik und damit für IW-Mitglieder und -Kunden relevante Fragen beantworten.
Die Analyse des deutschen Ökonomennetzwerks auf Twitter hat gezeigt, dass die Ökonomen häufig eng miteinander in Verbindung stehen und mit ihren Meldungen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs haben. Weitere Ideen der Forschungsgruppe sind in der Anfangsphase. Das nächste Forschungsobjekt soll der Arbeitsmarkt werden: Goecke und seine Kollegen wollen herausfinden, für welche Berufe die Nachfrage in Deutschland besonders groß ist. Die offizielle Statistik der Arbeitsagentur zu den gemeldeten Stellen bildet nie die ganze Wahrheit ab, weil der Behörde viele Stellen erst gar nicht gemeldet werden. Also werten die IW-Wissenschaftler diverse Jobportale aus und vergleichen sie mit den Daten der Arbeitsagentur. „So können wir bessere Aussagen darüber treffen, wie der Fachkräftemangel in bestimmten Berufen in welcher Region aussieht“, erklärt Goecke.
Ein weiteres Thema, mit dem sich die Datenexperten beschäftigen, ist die Infrastruktur. Die Idee der IW-Forscher ist, Fahrpläne verschiedener Verkehrsbetriebe auszuwerten und zu analysieren. „Dadurch erhoffen wir uns Erkenntnisse darüber, wie gut eine Stadt oder eine Region an den öffentlichen Verkehr angebunden ist“, sagt Goecke. „Das ist eine Dienstleistung, die zum Beispiel für Handelskammern oder Kommunen interessant sein könnte.“
Wissenschaftliche Grundlagen erarbeiten
Und auch an den wissenschaftlichen Grundlagen der Big Data setzt die Forschungsgruppe an. Zum einen geht es darum, welche Relevanz Datenmengen für die Volkswirtschaft insgesamt haben, welchen Einfluss die Verwendung von Big Data beispielsweise auf das Wachstumspotenzial eines Landes hat. Ein anderer Schwerpunkt ist die Datenökonomie. Dahinter steht die Frage: Wie lassen sich Daten überhaupt bewerten? Denn längst sind sie Produktionsfaktoren oder Produkte selbst. Wie viel ein Auto wert ist, lässt sich aus den Kosten etwa für Komponenten, Produktion und Arbeit errechnen, aber mit komplexen Datensätzen sieht das ganz anders aus. Wie also können Unternehmen mit der Handelsware Daten umgehen?
Antworten auf diese Frage erarbeitet Goeckes Forschungsgruppe gemeinsam mit dem Kompetenzfeld „Strukturwandel und Wettbewerb“ und der IW Consult in dem groß angelegten Projekt „DEMAND“ (Data Economics and Management of Data driven business). 18 Monate Laufzeit sind für diese Forschungsarbeit vorgesehen, für die das IW zwei weitere Stellen ausgeschrieben hat. Auftraggeber ist das Bundeswirtschaftsministerium und ein Partner im Projekt das Fraunhofer-Institut. Dort hat sich Volkswirt Goecke in mehreren Seminaren zum Data Scientist fortbilden lassen – ein thematischer Rundumschlag: von Big-Data-Systemen über Datenmanagement und -analyse bis hin zu dafür notwendigen Technologien und Tools. Das IW-Know-how ist also entsprechend groß, um die großen Datenmengen zu bearbeiten.
Branche mit besonders sensiblen Kundendaten. Start-ups, die sogenannten Fintechs, setzen für ihre Geschäftsmodelle auch auf die ⇒ Blockchain.
Ban|ner
Werbeeinblendungen etwa von Shopping- oder Urlaubsportalen, die personalisierte Werbung – und damit die Nutzung von Big Data – im Internet sichtbar machen.
Be|ra|tung
Leistung, die die IW Consult auch auf Basis von Big-Data-Analysen erbringt. In ihrem Digital Index etwa erhebt und vergleicht sie das „digitale Erscheinungsbild“
von mehr als 3,5 Millionen Unternehmen und Institutionen in Deutschland.
BfDI
Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Sieht die Betonung des Datenschutzes als wichtiges Instrument, um Vorbehalte der Öffentlichkeit gegen Big Data abzubauen.
Block|chain
Technologie mit großem Potenzial für Big Data. Dezentrale Datenbank, in der Datensätze („Blocks“) durch kryptographische Methoden nachvollziehbar und unveränderbar verkettet werden. Von den IW-Ökonomen Vera und Markus Demary im Kurzbericht „The Promise of Blockchain“ analysiert, auch mit Blick auf den ⇒ Bankensektor.